Man sitzt am Laptop in Café

Ist Sitzen das neue Rauchen?

Wenn du an Dinge denkst, die dein Leben bedrohen könnten, denkst du wahrscheinlich nicht als Erstes an einen Stuhl. Doch halte dich fest: Viele Forscher sind der Überzeugung, dass zu viel Sitzen heutzutage eine der größten Bedrohungen für deine Gesundheit darstellt.

Der Stuhl will uns töten

„Sitzen ist gefährlicher als Rauchen, tötet mehr Menschen als HIV und ist tückischer als Fallschirmspringen. Wir sitzen uns zu Tode“, sagt Professor James Levine in einem Interview mit der LA Times. „Der Stuhl will uns töten.“

Dr. Levine fasst es prägnant zusammen: „Sitzen ist das neue Rauchen“. Das mag radikal klingen, doch es gibt inzwischen immer mehr Forschungsergebnisse, welche die negativen Folgen unseres überwiegend sitzenden Lebensstils belegen.

Denn der Mensch ist nicht für das Sitzen gemacht. Unsere Vorfahren waren immer in Bewegung – auf Mammutjagd oder beim Beerensammeln. Sie wurden zwar nicht so alt wie wir, das lag aber meist am Jagdunfall ohne Notarzt oder dem Säbelzahntiger, der seine Höhle nicht teilen wollte.

Heute schaut das jedoch ganz anders aus. Dr. Levine schätzt, dass die Amerikaner mehr als die Hälfte der Stunden, in denen sie nicht schlafen, mit Sitzen verbringen – im Büro, im Auto, beim Essen oder daheim auf dem Sofa.

Wir haben zwar im Büro keine Angriffe von Höhlenbären mehr zu fürchten, doch so gesund wie es auf den Ersten Blick wirkt, ist unser heutiges Leben auch nicht. Studien zeigen: Das lange Sitzen verkürzt unser Leben! Ein alarmierender Befund in Zeiten, in denen die Mehrheit von uns ihre Zeit im Sitzen verbringt.

Warum Marathon-Sitzen uns krank macht

Wer mehr als 13 Stunden pro Tag sitzt, hat ein doppelt so hohes Sterberisiko hat wie jemand, der weniger als elf Stunden täglich sitzt – in den meisten Studien geht es vorrangig um den statistischen Zusammenhang zwischen der im Sitzen verbrachten Zeit und der Lebenserwartung. Wie genau langes Sitzen der Gesundheit schadet, ist jedoch noch nicht restlos geklärt. Im folgenden gehen wir auf die wichtigsten Auswirkungen von langen Sitzen etwas genauer ein.

Sitzen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fettleibigkeit

In einer Studie wurden nicht sportlich aktive Büroangestellte auf eine Diät mit 1000 kcal pro Tag gesetzt (für einen erwachsenen Mann sind ca. 2000 kcal / Tag empfohlen). Ansonsten sollten sie nichts an ihrem Alltag ändern.

Das Ergebnis ist erstaunlich – einige der Probanden verloren wie zu erwarten Gewicht, während andere zunahmen!

Weitere Forschungen deckten auf, dass die Personen die abnahmen, sich mindestens zwei Stunden pro Tag mehr bewegten als diejenigen, die Gewicht zunahmen – Gewicht wurde durch Bewegung, nicht zwangsläufig jedoch Sport verloren. 

Wenn man den durchschnittlichen Kalorienverbrauch pro Stunde betrachtet, wird klar, warum manche Personen in der Studie zu- und andere abnahmen.

Unser Körper verbrennt im Schnitt ca. 50 kcal pro Stunde mehr, wenn wir stehen als wenn wir sitzen. Das entspricht zwar nur dem Energiegehalt von einem kleinen Glas Apfelsaft, aufs Jahr gesehen können so jedoch riesige Mengen an Kalorien verbraucht und somit Gewicht abgenommen werden – zwei Stunden pro Tag, die nicht im Sitzen verbracht werden, entsprechen einem jährlichen Mehrverbrauch von ca. 30.000 kcal was in etwa zehn Marathonläufen entspricht!

Sitzen als Ursache für Rücken-, Nacken- und Ischiasschmerzen

Langes Sitzen hat vielfältige negative Auswirkungen auf unseren Rücken. Generell wird beim Sitzen im Vergleich zum Stehen bis zu 90% mehr Druck auf den unteren Rücken ausgeübt. Dies hat häufig verschiedene Rückenbeschwerden zur Folge und kann auch Bandscheibenprobleme begünstigen.

Bei langem Sitzen sind die Muskeln des Bewegungsapparates nicht in der Lage, die natürliche aufrechte Körperhaltung zu halten und die Wahrscheinlichkeit eine Hyperkyphose (Rundrücken) zu entwickeln ist deshalb stark erhöht. Eine Hyperkyphose zeigt sich in einer Verbiegung des Rückens – sichtbar als eine krumme Körperhaltung bei der sich der Kopf nach vorne neigt und sich die Schultern nach vorne drehen.

Kurzfristig können Nacken- und Rückenschmerzen sowie Müdigkeit die Folge sein. Wenn nicht durch Sport und gezieltes Training die Hyperkyphose kompensiert wird, manifestiert sich diese Körperfehlhaltung und kann langfristig zu erheblichen Schäden führen.

Wenn du Nacken- oder Rückenschmerzen hast, stundenlang am Tag sitzt und keine gute Körperhaltung hast, könnte eine Hyperkyphose die Ursache sein.

Langes Sitzen und Krebs

Es gibt verschiedene Arten von Krebs, von denen angenommen wird, dass sie durch Inaktivität und langes Sitzen verursacht werden. Wissenschaftler schätzen, dass mehr als 170.000 Fälle von Krebs (insbesondere Brust-, Darm, Lungen- und Prostatakrebs) alleine in den USA auf Inaktivität zurückzuführen sind.

Der zugrundeliegende Mechanismus, durch den Sitzen das Krebsrisiko erhöht, ist noch nicht abschließend geklärt. Wissenschaftler haben jedoch eine Reihe von Biomarkern gefunden, die in höheren Konzentrationen bei Personen vorkommen, die häufig länger sitzen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Sitzen

Viele Studien belegen die negativen Effekte von zu vielem Sitzen in der Arbeit als auch zu Hause auf unser Herz-Kreislauf-System.

Bei Menschen, die lange sitzen, ist nicht nur die Wahrscheinlichkeit eine Herzinsuffizienz zu entwickeln stark erhöht, sondern auch deren Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. 

Gründe für die negativen Auswirkungen von Marathon-Sitzen sind der niedrige Kalorienverbrauch und der veränderte und unterforderte Stoffwechsels. Dieser verlangsamt sich schon nach 30 Minuten Sitzen um ca. 90 Prozent, was das Risiko von Herz- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes erhöht.

Eine britischen Studie mit Londoner Busfahrern und Busschaffnern belegt das eindrucksvoll: Es wurde deren Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Die Busfahrer, die den ganzen Tag saßen, hatten weit mehr Herzinfarkte und andere Herz-Kreislauf-Probleme als die Busschaffner, die sich während der Arbeit bewegten oder standen.

Höheres Risiko für Typ 2 Diabetes durch Sitzen

Wie schnell und welch drastische Auswirkungen ein Mangel an Bewegung auf unser Herz-Kreislaufsystem hat, zeigt folgende Studie: 

Männer, die normalerweise viel laufen (ca. 10.000 Schritte pro Tag), reduzierten weitestgehend ihre Bewegung im Alltag und fuhren z.B. nur noch Aufzügen, Rolltreppen oder nahmen das Auto für den Arbeitsweg. 

Nach nur zwei Wochen zeigten sich schon ein schlechterer Stoffwechsel (u.a. verminderte Fähigkeit zur Regulierung von Glukose) und erhöhte Blutfettwerte – ein erster Schritt auf dem Weg zu Diabetes.

Durch das Sitzen wird u.a. die Aktivität in den Beinen abgeschaltet. Das hat zur Folge, dass der Körper weniger empfindlich gegenüber Insulin ist, die Kalorienverbrennung sinkt und der Abbau von “gefährlichen” Blutfetten gedrosselt wird. Dadurch sinkt das “gute” HDL-Cholesterin.

Weitere Erkenntnisse in Studien waren, dass häufiges Aufstehen und Pausen beim Sitzen generell einen geringeren Körperfettanteil und auch einen geringeren Body-Mass-Index (BMI) zur Folge haben.

Nicht die Dauer des Trainings war entscheidend, sondern die Dauer des Sitzens.

Langes Sitzen verkürzt unsere Lebenszeit

Wir sterben früher, weil wir zu lange sitzen – das ist das schockieren Fazit vieler Studien.

Auch wenn die Gesundheit der Studienteilnehmer und deren Trainingsniveau mit einbezogen wird, ändert sich die Kernaussage nicht. Studien belegen, dass Erwachsene, die viele Stunden pro Tag sitzen, ein je nach Studie um zehn bis 40 Prozent erhöhtes Sterberisiko aufweisen, im Vergleich zu denjenigen, die maximal drei bis vier Stunden am Tag sitzen.

Amerikaner könnten im Durchschnitt zwei Jahre länger leben, wenn sie ihre durchschnittliche Sitzzeit auf drei Stunden pro Tag reduzieren würden – das Fazit einer US Studie aus dem Jahr 2012. Gleiche Dimensionen können wir auch für uns annehmen.

Warum eine Stunde Sport nicht gegen acht Stunden Sitzen hilft

Die negativen gesundheitlichen Effekte von Sitzen lassen sich kompensieren – das war das Ergebnis eines Forscherteams um den norwegischen Sportmediziner Ulf Ekelund, das 2016 16 Studien aus Westeuropa, Australien und den USA mit insgesamt mehr als einer Million Teilnehmern auswertete.

Laut den Forschern reicht bei acht Stunden sitzen eine Stunde Aktivität pro Tag als Kompensation aus. Die Bewegung, z.B. Joggen oder Radfahren, sollte man dabei über den Tag verteilen.

Jetzt denkst du dir vielleicht: “Super, ich trainiere täglich im Fitnessstudio oder in der Sportgruppe – meinem Körper muss es ja super gehen, ich kann mich also ohne schlechtes Gewissen wieder hinsetzten”.

Doch lieber nicht zu lange… eine Studie aus dem Jahr 2017 mit knapp 8000 Amerikanern kam zu einem schockierenden Ergebnis: Selbst tägliche Sporteinheiten können nicht die negativen Folgen von acht Stunden sitzen kompensieren. Regelmäßiger Sport verringert zwar das Gesundheitsrisiko, kann die Nachteile des täglichen Sitzens jedoch nicht voll aufheben.

Zu dem Ergebnis, dass langes Sitzen sich nicht durch eine kurze Sporteinheit am Abend kompensieren lässt, kommt auch Professor Marc Hamilton – der Durchschnittsmensch könne niemals genug trainieren, um die negativen Effekte von zu langem Sitzen entgegenzuwirken. Gleiches sagt die Wissenschaftlerin und Autorin Katy Bowman: Zehn Stunden Inaktivität können nicht mit einer Stunde Training ausgeglichen werden.

Was kann ich im Arbeitsalltag gegen langes Sitzen tun?

Wer lange im Büro sitzt, verkürzt seine Lebenserwartung. Schön und gut – was aber tun, wenn ich um langes Sitzen, zum Beispiel durch meinen Bürojob, nicht herumkomme?

Untersuchungen haben ergeben, dass du dein Risiko u.a. für Krebs, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rückenschmerzen erheblich senken kannst – und zwar mit einer einfachen Änderung deines Lebensstils: Verbringe weniger Zeit im Sitzen.

Forscher sahen sich neben der Gesamtdauer der im Sitzen verbrachten Zeit auch die Dauer der Zeit zwischen den Pausen an – also die Zeit die wir ohne Unterbrechung sitzend verbringen. Dabei sind sie auf ein erstaunliche Ergebnis gestoßen:

Sitzen ist generell ungesund, wer aber lange ohne Unterbrechung sitzt, schadet seiner Gesundheit noch mehr.

Das Mortalitätsrisiko, also das Risiko zu sterben, war bei Probanden, die länger als eine halbe Stunde ununterbrochen saßen im Vergleich zu denjenigen, die öfter Pausen machten, um mehr als 50 Prozent erhöht.

Man sollte deshalb die im Büro sitzend verbrachte Zeit auch nicht überdramatisieren – kaum jemand sitzt acht Stunden ohne Pause am Schreibtisch.

Auch eine norwegische Studie von 2016 zeigt, dass durch eine Stunde Bewegung die schädlichen Effekte eines Arbeitstages im Sitzen deutliche verringern werden können. Eine halbe Stunde täglich hatte schon positive Effekte. 

Deshalb ist die wissenschaftliche Empfehlung, sitzende Tätigkeiten mindestens alle halbe Stunde durch ein paar Minuten Bewegung zu unterbrechen. Fünf Minuten aufstehen bringt den Körper wieder in Schwung – fast zu einfach um Wahr zu sein.

Mit diesen sieben Tipps bringst du mehr Bewegung in deinen Alltag

Mehr Bewegung – leichter gesagt als getan. Doch auch wenn man sehr eingespannt ist und der Arbeitgeber einem nicht entgegenkommen will, gibt es einige Möglichkeiten, mehr Bewegung in den Büroalltag zu integrieren:

Der Weg zur Arbeit

Lass das Auto stehen und fahre mit dem Fahrrad ins Büro. Wem das zu viel ist, kann anfangen, Teilstrecken seines täglichen Pendelweges zu Fuß zu gehen – eine Haltestelle früher aussteigen oder weiter entfernt parken.

Aufzug & Rolltreppe

Wir haben uns so daran gewöhnt und warten lieber eine Minute auf den Aufzug, als kurz die Treppe zu nehmen. Wer aber konsequent Aufzug und Rolltreppe links liegen lässt und zu Fuß geht, bringt viel Bewegung in sein Leben.

Im Büro

Regelmäßige, möglichst halbstündliche, kurze Bewegungspausen bringen deinen Organismus wieder in Schwung. Gute Gründe hierfür sind der Gang zum Drucker, der Marsch zu Kollegen statt einer E-Mail oder ein längerer Umweg zur Kantine.

Mittagspause

Meist fallen wir nach dem deftigen Kantinenessen ins “Food-Koma” und würden uns am liebsten wieder hinsetzten. Wer Bewegung in seinen Alltag bringen will, muss hier jedoch seinen inneren Schweinehund Paroli bieten und lieber die Zeit für einen flotten Spaziergang nutzen – du wirst es nicht bereuen! 

Im Meeting

Manchmal ist eine Bewegungspause einfach nicht möglich – z.B. während wichtigen Meetings. Dann kann man “Trick 17” anwenden und möglichst häufig die Sitzposition ändern. So schläft man auch bei den langweiligsten Meetings nicht ein und die Rückenmuskulatur verspannt nicht so schnell.

Zu Hause

Sobald zu Hause, nicht sofort aufs Sofa fallen und den Feierabend sitzend auf der Couch verbringen. Versuche, Bewegung in deinen Routinen zu integrieren, z.B. durch Sportgruppen, Gartenarbeit oder eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio.

Auf Reisen

Wenn du mal wirklich lange sitzen muss, wie z.B. im Flieger oder Bus, kannst du durch kleine Übungen deinen Kreislauf in Schwung bringen und entlastet dabei auch die Venen.


Wichtig. Wenn du frisch mit Sport anfängst und älter als 35 Jahre alt oder chronisch krank bist, lass dir vor dem Start sicherheitshalber von einem Arzt grünes Licht geben.

Mit etwas Disziplin und einem Hinterfragen der eigenen Alltagsroutinen kann man leicht Bewegung in den täglichen Ablauf integrieren. So lassen sich nicht nur die negativen Folgen von unserem Marathon-Sitzen abmildern, sondern man fühlt sich auch gleichzeitig gesünder und lebensfroher.

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